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Aus: Bote von St. Afra  
Mitteilungsblätter der Fürsten= und Landesschule St. Afra  
Herausgegeben im Namen des Lehrerkollegiums von Rektor Kastner  
15. Jahrgang - Michaelis 1937 - Nummer 2  
 
Chronik  
 
Das neue Schuljahr 1937/38 begann am 9. April. Während der Osterferien wurde Schlafsaal I völlig erneuert, mehrere Kleiderkammern erhielten neue Schränke und wurden vorgerichtet, allenthalben waren ausbessernde Hände tätig gewesen, nun konnte das Haus frisch geputzt am 8. April den zurückkehrenden Coetus empfangen. Der Schulanfang verlief nach alter Sitte. Die Neulinge trafen, mit Kisten und Koffern beschwert und von besorgten Eltern und Geschwistern geleitet, als erste ein, packten aus und räumten ihr Hab und Gut in die Schränke ein. Ältere Kameraden halfen bereitwillg. Erst am Spätnachmittag aber erfüllte die Masse der älteren Schar das Haus mit ihrer Wiedersehensfreude. Abends 20 Uhr versammelte der Lehrer vom Dienst (Hebdomadar) die Schülerschaft, die bis auf wenige zu Haus Erkrankte sich vollzählig eingefunden hatte, zur ersten Abendmahlzeit, die in gewohnter Fürsorge die getreue Oberin besonders reichlich bemessen hatte. Am 9.April eröffneten wir mit Flaggenhissung im Festsaal die neue Arbeitszeit. Die neuen Schüler - 37 Untertertianer, 1 Obertertianer, 2 Obersekundaner - wurden auf das afranische Gelübde verpflichtet, die Inspektoren durch Handschlag in Dienst genommen und der gesamten Schülerschaft vom Rektor Richtung und Aufgabe für das neue Schuljahr gegeben. In der Mittagsstunde trafen die neuen Quartaner, 27 an der Zahl, ein. Sie wurden im Synodalzimmer begrüßt und in die afranische Hausgemeinschaft aufgenommen. Internat und Quartanerheim waren nun bis auf einen Platz gefüllt, die große Lücke, die Ostern 1937 infolge des gleichzeitigen Abgangs zweier Jahrgänge entstanden war, war geschloßen und der Alltag konnte seinen Gang nehmen. 2 Junglehrer (Studienreferendare) waren uns mit Beginn des Schuljahres zur Ableistung des Probedienstes zugewiesen worden, wiederum 2 Naturwissenschaftler. Studienreferendar K u m m e r aus Meißen ist Mathematiker und Physiker, Studienreferendar D r a c h e aus Zwickau Biologe und Turner. Beide haben sich rasch in die Schule und unsere Gemeinschaft eingelebt.  
 
Der Alltag des Schullebens erfuhr seine erste schöne Unterbrechung anläßlich der Geburtstagsfeier des Führers. Nach einer Feierstunde in der Aula, die Studienrat Dr. C a s p a r i gestaltete, nahmen Lehrer und Schü1er als Zuschauer an der Parade der Meißner Truppenteile teil.  
Wenn auch das Paradebild der motorisierten Truppen zunächst ungewohnt war, fesselte es doch. Am Spätnachmittag hörte die HJ. auf der Jahnwiese die Ansprache des Vertreters des Führers. Ihr folgte die Übernahme der ältesten Hitlerjungen in die Partei. Zum 1. Mai, dem großen nationalen Feiertag, war uns diesmal prächtiges Frühlingswetter beschert. Wir beteiligten uns an der Morgenfeier der HJ. wie am Festzug und der großen Kundgebung der Partei auf der schönen Festwiese am rechten Elbufer. Da der folgende Tag ein Sonntag war, benutzte die HJ. das schöne Wetter zum Ausmarsch nach Moritzburg und Umgebung. Sie fand gutes Quartier bei der Landbevölkerung und kehrte nach strammem Marsch am 2. Mai abends mit gesundem Appetit zur Schule zurück.  
 
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Am 6. Mai, dem Himmelfahrtstage, fand die afranische Konfirmation statt. Es ist zur schönen Tradition geworden, daß Eltern, Paten, Angehörige der Konfirmanden mit den Pflegern sich beim gemeinsamen Mittagsmahl in unserem festlich geschmückten Speisesaal zusammenfinden. Wir haben ja leider nur selten Gelegenheit, uns mit den Eltern unserer Jungen zu besprechen, und freuen uns deshalb besonders auf jede Möglichkeit des Zusammenseins und zwanglosen Austausches. Für den 8. Mai hatten wir den Maitanz im Anschluß an ein Hauskonzert angesetzt. Da traf am Morgen des 6. Mai die erschütternde Kunde von der Explosionskatastrophe unseres stolzen LZ Hinbenburg ein. Unsere Fahne sezten wir in tiefer Ergriffenheit auf Halbmast und sagten die Einladung zum Konzert und Tanz ab.  
 
Am 13. Mai veranstalteten wir den ersten Wandertag. Vier Wandertage, abgesehen von Großfahrt im Sommer und Winter, sind jährlich vorgesehen. Ein fester Plan für alle Klassen liegt vor, so daB jeder Schü1er im Laufe von sechs Jahren ein geschloßenes Wanderbild von Meißen, seiner näheren und weiteren Umgebung, von Dresdens Schönheiten und Kunstschätzen und von Sachsens Besonderheiten erhält. Die Unkosten werden denkbar niedrig gehalten. Verpflegung gibt die Speisenwirtschaft mit. -  
 
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Nun eilt das schulische Halbjahr seinem Ende zu, auch der Sommer nimmt Abschied. Im Park fallen die Blätter und Kastanien, deren Sammlung unsere Schüler im Sinne des Vierjahresplanes durchführen. Daneben läuft noch eine Gemeinschaftsarbeit der Schülerschaft -- der Ausbau eines Schülergartens zwischen Tennisplatz und Primanerberg. Die Leitung der Arbeiten liegt in den Händen von Studienreferendar D r a c h e. Auch die Erneuerung des kleinen Zwingers wird in der nächsten Zeit in Angriff genommen werden. Die Pläne liegen fest und das erforderliche Geld ist bewilligt.  
 
An Aufgaben fehlt es uns also nicht. Das Wichtigste aber ist doch die rechte Gestaltung der Schule im ganzen. Immer mehr ergibt sich die Notwendigkeit, seitdem das Ministerium für Volksbildung sich der Umschulungsklasse gegenüber ablehnend verhält, ihr trotz mancher Bedenken eine Sexta und Quinta anzufügen und sie damit zur humanistischen Vollanstalt zu machen. Ob das bereits Ostern 1938 möglich ist, entscheiden die Ministerien für Volksbildung und Finanz. Der Kreis der Eltern die ihre Söhne in unsere humanistische Quarta bringen können, ist infolge des Abbaus der Gymnasien bedenklich geschrumpft. Deshalb bitten wir unsere humanistisch eingestellten Freunde im Lande, in ihrem Bekanntenkreis werbend auf St. Afra hinzuweisen, das begabten und tüchtigen Jungen -- dank seiner Freistellen -- die denkbar günstigste Ausbilbungsmöglichkeit gewährt.  
26. September 1937. Kastner.  
 
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Der Afrafriedhof.  
 
Am Osteingang zum Afrafriedhof sieht man folgenden Anschlag:  
Die St. Afrakirche steht während des ganzen Jahres zur unentgeltichen Besichtigung und zu stiller Andacht allen Einheimischen und Fremden offen: Wochentags von früh 8 Uhr an; Sonntags desgleichen - mit Ausnahme der Zeiten sämtlicher Haupt= und Nebengottesdienste. Die durchaus gotisch angelegte St. Afrakirche gehört zu den ältesten kirchlichen Bauwerken des Sachsenlandes und wurde in z.T. weit auseinanderliegenden Bauabschnitten ausgeführt: in ihrer ursprünglichen Gestalt erstand sie 1025 bis 1039, nach Abtragung dieser ältesten Anlage wurde sie wiederum errichtet 1295-1329, Erneuerungen, immer deutlich im Stil der betreffenden Jahrhunderte, empfing sie 1585 und 1828. Der wertvolle hohe Altaraufsatz stammt ebenso wie die Kanzel mit ihren zahlreichen sogenannten Stifterfiguren aus der Barockzeit, während der Altartisch eine edle Schöpfung der frühen Gotik sein dürfte. Der baulich bedeutsamste Teil der Kirche ist die im romanischen Stil äußerst schön erhaltene Sakristei (u. U. auch Tauf= und Traukapelle). sie wird auf Wunsch geöffnet durch den Kirchner, anzutreffen in der Kanzlei des Pfarramts, Freiheit 7, Hinterhaus. Besondere Beachtung verdienen die in neuester Zeit geschaffenen Altar= und Kanzelbekleidungen, die geboren sind aus dem Geist des großen Erneuerers der protestantischen Kirchenkunst, Prof. Rudolf Koch in Offenbach.'  
 
Diese anerkennenswerte Öffnung der Afrakirche wird von vielen Altafranern freudig begrüßt werden, besonders von allen, denen dieses Gotteshaus durch ihre Konfirmation oder sonntägliche Gottesdienste lieb geworden ist. Gleichzeitig wird dadurch auch der Friedhof zugänglich, der durch seine z.T. ziemlich alten Gräber auf viele seine Anziehungskraft ausüben wird. Vielen aber wird es auch ein Bedürfnis sein, einmal das Grab eines von ihnen verehrten Lehrers zu besuchen. So will ich hier einen kurzen Führer durch diese kleine Welt der Grabsteine geben, indem ich mich auf Rektoren und Lehrer von St. Afra beschränke.  
 
Betritt man den Friedhof vom Eingang gegenüber der Afrapfarre, so fällt zur linken sofort das Grabmal von Prof, Dr. F l a t h e ins Auge, der als Geschichtslehrer von 1868 bis 1895 an der Schule gewirkt hat, vielen wohl auch durch seine Geschichte St. Afras bekannt ist. Rechts dahinter sieht man den Denkstein, den 'Ihrem Rektor Dr. B a u m g a r t e n = C r u s i u s die Zöglinge von St. Afra MDCCCXLV' gestiftet haben (Rektor 1833 bis 1845). Dahinter wiederum erhebt sich das Denkmal für den in Frankreich gefallenen Dr. K a y s e r , an St. Afra 1911 bis 1914. In der Mitte der Schulwand ist eine kaum leserliche Steintafel für den Rektor F a b r i c i u s , der in den Jahren 1546 bis 1571 St. Afra leitete und ihm seine charakteristiche Hausordnung gab. Kehren wir zum Eingangsweg zurück, so kommen wir am Denkstein für Pfarrer D o e r n e vorbei zu einer Gräbergruppe, die links oben die Asche von Dr. H e l l m u t h S c h m i d t = B r e i t u n g enthält, der 1920 bis 1928 Geschichtslehrer an St. Afra war.  
 
Blicken wir nun zur Rechten des Weges, so sehen wir drei Gräberreihen parallel zum Wege verlaufen. Die erste Reihe beginnt mit dem Grabstein von Carl Gustav W u n d e r , der von 1826 bis 1850 Professor der Mathematik und Physik an der königlichen Landesschule war. Im Nachbargrabe ruht 'Herr Karl Heinrich G r a f, Dr. phil. und theol., Prof. an der kgl. Landesschule' (1846-1868). Der nächste große Grabstein verrät durch seine Inschrift: Memoriae perpetuae Ludovici Theoph. Frankii, daß hier der afranische Rektor F r a n k e (1845-1871) seine letzte Ruhstatt gefunden hat. Daneben ist die Asche von Dr. K r e t s c h m a r eingebettet, der an St. Afra von August 1929 bis April 1930 lehrte und als Oberstudiendirektor des Zwickauer Gymnasiums starb. Das letzte Grab dieser ersten Reihe birgt die Überreste von Karl Emil 0 e h l s c h l ä g e l , Kgl. Musikdirektor und Oberlehrer an St. Afra (1909-1918). Schräg dahinter nach der Kirche zu ruht Friedrich Gustav T ü r k, Lic. theol., Konrektor an St. Afra (1885 bis 1914). Die zweite Gräberreihe enthält das Grab von Oberlehrer P ö t h k o, an St. Afra 1856-1857, und, an einem hellen Holzkreuz kenntlich, von Prof. Dr. G i l b e r t, der durch seine Schulzeit, 1867-1873, und seine Lehrertätigkeit, 1880-1919, eng mit der Schule verbunden war. In der dritten der erwähnten Gräberreihen liest man den Namen des langjährigen Musik= und Turnlehrers Julius K ö h l e r, dem dankbare Schüler diesen Stein gesetzt haben, daneben liegt Prof. Paul W i n t e r (Schüler 1886-1892, Lehrer 1910-1934), der vielen ehemaligen Schülern unvergeßlich bleiben wird. Zuletzt kommt das Grab von Oberlehrer E l l e, Lehrer für neuere Sprachen von 1890-1902, den ein plötzlicher Tod auf der Inspektion überraschte. Nun sind nur noch zwei Gräber zu erwähnen: Hinter den beiden Reihen blickt der große Grabstein hervor, der für Christian Gotthelf K ö n i g, der als Professor und Rektor von 1813-1832 hier gewirkt hat, und für seine Frau gesetzt ist. Wenige Schritte davon umschließt ein Eisengitter das Grab des Ehepaares Peters. Prof. Dr. Adolf P e t e r s war afranischer Lehrer von 1850-1872. Vielleicht wird mancher Leser den Namen Peter vermissen, den Namen des Rektors, der am längsten die Geschicke der Schule geleitet und ihr seinen Stempel aufgedrückt hat. Gerade vor wenigen Tagen, am 7. September, hat die Schule am 100. Geburtstage seiner sich dankbar erinnert. Sein Grab ist auf dem Friedhofe an der Johanniskiche zu finden, und zwar an der östlichen Umfassungsmauer.  
 
Auch in der Afrakirche selbst befinden sich Grabdenkmäler von afranischen Rektoren und Lehrern: Rektor F a b r i c i u s (1546-1571), Rektor W i l k e (1664-1691), Magister C h y t r ä u s (1665-1672) und Rektor R a b e n e r (1691-1699). Die Grabsteine sind künstlerisch wertvoll und in dem Werke: 'Bau- und Kunstdenkmäler des Königreichs Sachsen' ausführlich beschrieben. Diese kurzen Hinweise lassen jedoch in keiner Weise ahnen, wieviel Freude und Leid, wieviel Arbeit und Erfolg in diesem kleinen Stückchen Erde mitbegraben ist. Wenn man den kleinen Aufsatz: 'Verwehte Blätter vom afranischen Friedhof' im Boten, Jahrgang 1933, Heft 1, liest, so fühlt man, wieviel Erleben zwischen den beiden Lebensdaten, Geburt und Tod, eingeschlossen ist.  
Dr. Lorenz.
06.12.2023 - 18:54:01

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Aus: Afranischer Bote  
Mitteilungsblatt der Fürstenschule Meißen - Staatliches Gymnasium  
Herausgegeben von Oberstudiendirektor Hans Kastner, Meißen, Freiheit 13  
18. Jahrgang - Ostern 1940 - Nummer 1  
 
Bericht  
 
Das für Europa entscheidungsvolle Jahr 1940 setzte mit grimmiger Kälte ein, die fast ununterbrochen bis weit in den Monat März anhielt. Selten hat aber auch unser altes Meißen so schöne Bilder verzauberter Winterlandschaft geboten, wie in diesem Jahr. Nachdem nun der Frühling in unser Elbtal eingezogen ist und unser Schulpark wieder im schönsten Schmuck grünt und blüht, ist die lange Winterqual mit all ihren vie1en Widrigkeiten, großen und kleinen Nöten und Entbehrungen längst vergessen. Aber auch in den harten Wintertagen richteten wir uns auf beim Blick auf unsere Wehrmacht zur Luft, zu Wasser und zu Lande, die trotz gleicher unb erhöhter Schwierigkeiten fast täglich herrliche Heldentaten durchführte. - Aus unserem schulischen Leben sei folgendes herausgehoben: [ --- ] Auf den 8. und 9. Januar [ Montag u. Dienstag ] waren die Aufnahmeprüfungen für die neuangemeldeten Schü1er festgesetzt. Wiederum galt es, eine Fülle von Vorbereitungen und organisatorischen Maßnahmen zu treffen; wollten doch 48 von den über 60 Prüflingen im Heim untergebracht, betreut und verpflegt werden. Wir gliederten die Prüflinge in einzelne Abteilungen auf und stellten sie unter Leitung einzelner Prüfungsleiter und mehrerer Inspektoren. AlS Aufenthaltsräume sollten die Stuben I-V dienen, Schlaf= und Waschsaal IV wurden zur Verfügung gestellt. Am Sonntag, dem 7. Januar, trafen, geleitet von den Eltern, die Prüflinge ein. Dank der fürsorgenden Betreuung durch unsere Wirtschaftsleiterin, der Inspektoren und Lehrer fühlten sie sich in kürzester Zeit in Heim und Schule recht wohl. Mit dem Ergebnis der Aufnahmeprüfung konnten wir im allgemeinen zufrieden sein.  
Nur vier Jungens entsprachen nicht unseren Anforderungen. Leider reichte aber der Platz in der Schule nicht aus, um alle die Jungens, die bde Prüfung bestanden hatten, Ostern 1940 aufzunehmen. So mußte ausgelesen werden. Neun Jungen wurden baraufhin anderen höheren sächsischen Schulen zugewiesen. Am Morgen des 10. Januar verließen die Prüflinge, gespannt auf das bald zu erwartende Ergebnis, das durch die neue Ministerial=Verordnung in der Entscheidung des Oberstudiendirektors gelegt ist, Schule und Heim.  
 
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Eine besondere Ehrung erhielt Studienrat Dr. Hansen. Er wurde durch den Beauftragten der NSDAP., Kreisleiter Pg. Böhme, am 6. März zum Statdherrn der Stadt Meißen berufen und am gleichen Tage in Anwesenheit des Rates und des Ratsherren=Kollegiums unter Überreichung der Urkunbe in sein neues Amt eingewiesen.  
 
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Am Sonntag, dem 31. März, 11 Uhr fand im festlichen Rahmen die feierliche Aufnahme der neuen Schüler in Gegenwart ihrer Angehörigen im Festsaal der Schule statt. Der Rektor verpflichtete 44 Jungen auf das Gelübde der Fürstenschule Meißen und die siegreiche Fahne der Bewegung, die über aller Arbeit, der Schule wehen muß. An die musikalisch umrahmte Feier schloß sich ein heiteres Spie1 an, verfaßt von Studienrat Dr. Hansen, das die Wandbilder des Festsaales lebendig machte. Nach dem Mittagessen, das die Neulinge zum ersten Male gemeinsam mit der gesamten Schülerschaft einnahmen, wurden die Koffer ausgepackt, die neuen Schränke eingeräumt und von Schule, Haus und Garten Besitz ergriffen. Sechs Wochen sollten unsere Kleinsten vorerst nicht nach Hause fahren, damit sie sich rascher an die Fremde gewöhnten. Auch für die älteren Schüler wurde in Berücksichtigung der gespannten Verekehrslage Urlaubssperre für Heimaturlaub festgesetzt. Dafür lag uns ob, die Sonntage für die Klassen 1 und 2 festlicher auszugestalten. In Wanderungen und Fahrten lernten sie die nähere Umgebung Meißens und die Stadt selbst kennen und wurden auf diese Weise in kürzester Zeit bei uns heimisch. Heimweh wurde im allgemeinen tapfer unterdrückt, und es scheint fast so, als litten die Eltern unter der Trennung schwerer als die muntere, mitunter ausgelassene Schar unserer Jüngsten. Der Schule ist durch den Zuwachs von 10= bis 11 jährigen Knaben ein bedeutendes Mehr an Mühe, Arbeit, Fürsorge und Verantwortung aufgebürdet. Alle Stellen der Schule sind sich dessen bewußt. Der Außenstehende sieht und ahnt davon nur wenig, aber es muß doch immerhin betont werden, daß die meiste fürsorgende Arbeit der Lehrerschaft, der Wirtschaftsleiterin, der Pfleger und Inspektoren völlig unentgeltlich und ehrenamtlich geleistet wird, lediglich aus dem Gefühl der Verbundenheit mit der Jugend und unserer lieben Schule. Es liegt mir ob, allen, die sich unermüdlich einsetzen, den Dank der Schule auszusprechen. Die Fürstenschule Meißen umfaßt nun zum ersten Male in ihrer langen Geschichte alle acht Klassen einer höheren Schule, und damit ist der Ostertermin 1940 in der Entwicklung der Schule besonders denkwürdig geworden.  
 
Im Rahmen der vom Ministerrat für die Reichstverteidigung angesetzten politischen Unterweisungen der deutschen Jugend hörten wir am 3. April gemeinsam eine zündende Rede des Generalfeldmarschalls Göring. Unsere allwöchentlichen Morgenfeiern im April widmeten wir am 1. April dem Gedenken des Altreichskanzlers Bismark, am 8. April gedachten wir des Generals des großen Krieges Ludendorff, und am 22. April des unvergeßlichen Kampffliegers Manfred von Richthofen. Im April stellte sich das gesamte Deutsche Volk in den Dienst der Metallsammlung, deren Ergebnis dem Führer vom Generalfeldmarschall Göring als Geburtstagsgabe überreicht werden sollte. Über die Maßnahmen der Schule hierzu und das Ergebmis soll an anderer Stelle des Boten berichtet werden. Der Geburtstag des Führers, der 20. April, vereinigte Lehrer= und Schülerschaft zu einer Feier im Festsaa1. Den Mittelpunkt bildete die Rede des Stellvertreters des  
Führers, Pg. Rudolf Heß, die über unsere neue Lautsprecheranlage klangvoll übertragen wurde. Das Schulorchester leitete die Feierstunde ein, dann brachten drei Sprecher den Lebensgang des Führers und seine geschichtlichen Taten durch Zitate aus 'Mein Kampf', den Reden des Führers und Dichterworten zur Darstellung. Musik umrahmte die einzelnen Abschnitte; Stubienrat Dr. Hansen hatte die Gestaltung und Einstudierung des Ganzen übernommen. Sodann verkündete der Rektor die Namen der Jungen, die die besten Arbeiten zur Metallsammlung eingereicht hatten.  
 
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Am Morgen des 29. April hörten wir eine Ansprache des Reichsorganisationsleiters Pg. Dr. Ley an die deutsche Jugend.  
 
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Für den 1. Mai, den Staatsfeiertag des deutschen Volkes, war von großen Staatsfeiern abgesehen worden. Er sollte zur Besinnung auf unsere s0ziale und politische Kampfgemeinschaft dienen, die die Grundlage des gegenwärtigen Krieges und der kommenden Siege bildet. Da auch der anschließende Himmelfahrtstag Feiertag geblieben war, hatte die Schule erstmalig seit Ostern großen Urlaub bewilligt, von dem reichlich Gebrauch gemacht wurde. Nur eine geringe Zahl Schüler war im Heim verblieben. Ihnen bot am Vormittag des 1. Mai der Meißner Lehrer Burchardt einen ausgezeichneten Lichtbildervortrag über seine Reiseerlebnisse in China und Japan. Da am Nachmittag überdies der Circus Sarrasani, der in Meißen für wenige Tage seine Zelte aufgeschlagen hatte, besucht wurde und die Wirtschaftsleiterin ausgezeichnete Verplfegung bot, fühlten sich auch die im Heim verbliebenen einigermaßen entschädigt. Anläßlich eines geselligen Abends im Rahmen einer Tagung des Heimatwerks Sachsen spielten am Abend des 4. Mai einige Schüler zwei von Studienrat Dr. Hansen verfasste Szenen aus dem Leben der Schule, die reichen Beifall fanden. Am Montag, dem 6. Mai, hörten wir im Rahmen unserer nationalpolitischen Morgenfeiern eine eindringliche Ansprache des Reichserziehungministers Rust, in der er die deutsche Jugend zur straffen schulischen Arbeit gerade während des Krieges hinwies. - Noch wollte das Frühlingswetter nicht beständig werden, da kamen schon am 10. Mai die Pfingstferien. Leider blieb die Witterung während der Ferientage für Fahrten und Wanderungen  
denkbar ungünstig.  
 
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Während die Schulische Arbeit ihren regelmäßigen Fortgang nimmt, ist die größte Schlacht der Weltgeschichte im Gange. Es braucht kaum gesagt zu werden, daß Schule und Schülerschaft mit heißem Herzen an dem großen Geschehen täglich und stündlich teilnehmen. In den meisten Stuben befinden sich jetzt Radio=Apparate, an denen unsere Jungen die Heeresberichte des OKW hören und die Kampferlebnisse vernehmen können. Wie ein Lauffeuer durcheilte am 9. April die Kunde von den Ereignissen in Dänemark und Norwegen die Schule. Der Führer war dem Vorstoß der Engländer um zehn Stunden zuvorgekommen und hatte in kühnem Griff dem Engländer verwehrt, den Norden als Sprungbrett für den Angriff gegen Deutschland in Besitz zu nehmen. Große Karten wurden gezeichnet, auf denen die Bewegungen unserer tapferen Truppen eingetragen wurden. Kaum war die Norwegen=Aktion mit dem Siege der deutschen Truppen und der Flucht der Engländer zum Abschluß gekommen, da brach das deutsche Weltheer am 10. Mai auf, um Holland und Belgiens Neutralität gegen den Plan eines Vorstoßes in das Ruhrgebiet zu sichern. Wir alle stehen unter dem gewaltigen Eindruck des großen deutschen Siegeszuges und mit dem Wunsch, daß die kühnen deutschen Operationen bald zur Vernichtung der westlichen Plutokratien führen mögen, senden wir mit unserem afranischen Boten unsere herzlichsten Grüße und Segenswünsche an alle afranischen Kameraden, die auf dem Lande, in der Luft und zur See für Führer und Großdeutschland kämpfen. Durch treue Arbeit in dem uns gesteckten Rahmen wollen wir hier in der Heimat uns ihnen würdig an die Seite stellen und gläubigen Herzens dem siegreichen Großdeutschland mit entgegenmarschieren.  
M e i ß e n, am 28. Mai 1940. K a s t n e r.  
 
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Metallspende 1940.  
 
Nachdem im März Generalfeldmarschall Göring das deutsche Volk zur Metallspende für den Geburtstag des Führers aufgerufen hatte, wurde vom Ministerium für Volksbildung auch den Schulen ihr Platz im Rahmen dieser gewaltigen Aktion zugewiesen. Und so haben auch wir in Afra an unserem Teile mit gearbeitet und mit geholfen. Zunächst wurde natürlich bei uns eine Sammelstelle eingerichtet, zu der die Stadtschüler fleißig ihre Gaben brachten. Daß unsere Heimschü1er sich hiervon ausgeschlossen sahen, bedauerten sie; doch woher sollten sie Altmetall nehmen? So konnte sich der größte Teil unserer Jungen nur schulisch für die Aufgabe einsetzen, nahm doch der gesamte Fachunterricht in diesen Tagen auf die Metallspende Bezug.  
Während der Zeichenlehrer wirkungsvolle Werbeplakate und z.T. recht gelungene und heitere Schilder zum Thema anfertigen ließ, in den Chemie= und Physikstunden die Natur der Metalle erschöpfend behande1t wurde, sprach der Erdkundelehrer über die Vorkommen, die Industriezentren und die Metallwirtschaft. Schließlich hatte jeder Junge einen Aufsatz zu schreiben über das je nach der Altersstufe verschieden abgewandelte Thema 'Spendet Metall für den Führer!'  
Ein besonderer Anreiz bei all den Aufgaben war der Umstand, daß sie als Preisaufgaben aufgezogen worden waren. Bei dem Morgenappell am Geburtstag des Führers konnte manch einer ein schönes Buch als Anerkennung für seinen erfolgreichen Einsatz durch den Rektor ausgehändigt erhalten.
07.12.2023 - 2:07:43

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Aus: Afranischer Bote  
Mitteilungsblatt der Fürstenschule Meißen  
Herausgegeben von Oberstudiendirektor Hans Kastner, Meißen, Freiheit 13  
18. Jahrgang - November 1940 - Nummer 2/3  
 
Vom Einzug in unser neues Heim.  
 
'Klasse 1, stillgestanden!' Der Inspektor hat's befohlen. Die kleine Gesellschaft, auf dem Hofe vor der Krankenburg angetreten, erstarrt in Ruhe. Sie soll es wenigstens! Denn während die Füße von 26 Mann ausgerichtet und ruhig stehen, schweifen noch bei manchem unserer Zehnjährigen die Augen neugierig in die Runde. Es ist wirklich allerhand los! Da stehen die Quintaner vor ihnen Spalier. Der Stellvertreter des obersten Befehlshabers der Fürstenschule, Herr Dr. Hansen, kommt und begrüßt die Gäste. Der Lehrer vom Dienst ist erschienen und der Klassenlehrer. Und oben aus ihren Stuben äugen einige von den Großen - mitten im Studieren! Welch ein Sittenverfall! - nach uns hin.  
 
Es ist eine große Feier, auch wenn es sich um kleine Leute handelt. Es ist Freitag, der 28. Juni 1940, 18 Uhr. Die neuen 'Räumlichkeiten' für Kl. 1 sollen 'eröffnet' werden. Herr Dr. Hansen hält - kurz und bündig - die Festrede: 'Das Haus, in das ihr zieht, ist sehr alt. Einst wohnten die Mönche darin. Es waren fleißige Menschen. Arbeitet auch ihr recht fleißig in euren neuen Studierstuben! Es waren stille Menschen. Macht auch ihr nicht Lärm und Geschrei! Sie waren weltflüchtige, lebensferne Menschen. Das aber sollt ihr nicht werden! Die Fürstenschule will frische, fröhliche, will echte, rechte deutsche Jungen erziehen!' Noch ein dankbares Gedenken an den Rektor, der als Hauptmann damals im Polenland Dienst tat; hat er doch Planung, Umbau und Einrichtung der neuen Räume mitten in der Kriegszeit unter mannigfachen Mühen und Ärgernissen durchgesetzt. Dann marschieren wir mit 'Reihe rechts!' dem Hause zu. Die Quintaner klappen mit den Hacken zusammen; aber ihr Gesicht verzieht sich vor Lachen ob der Ehre, die sie - die Herren Quintaner - den kleinen Sexern heute einmal zuteil werden lassen.  
 
Die grüne Haustür ist weit geöffnet. Wer ist da nicht alles schon durgeschritten! Da gab es früher einmal den Karzer ganz hinten im Erdgeschoß. Und daneben befanden sich einst - o tempora mutantur - das Rentamt, später die Schülerwerkstatt und wieder später nette, schlichte Räume für Heimabende unserer HJ. Und jetzt träumen dort unten die alten Urkunden und Rechnungsbücher des Archivs von fernen Jahrhunderten. Zum ersten Stocke hingegen strebte so mancher mit Halsschmerzen oder mit Bauchweh, und wieder mancher, der richtig krank war! Denn oben rechts - ganz früher war es links! - geht es zu Arztraum und Krankenzimmern. Auf der linken Seite dagegen hat schon seit längerem äußerst gesunde, gelegentlich 'zu gesunde!' Jugend ihre Stätte. Hier waren lange Zeit die Schlafstuben für die Quartaner, bis sie im vorigen Jahre in die zwei hellen großen Tagesräume unserer ersten Sexta, unserer jetzigen Kl.2, umgebaut wurden. Darüber befand sich einst die alte Krankenwärterwohnung. Die ist nun zum Sextanerheim umgewandelt. Was sage ich? Umgewandelt? Es war im wahrsten Sinne des Wortes ein Umbruch. Wochenlang kamen Geschirre mit Ziegeln und anderem Baumaterial den Ökonomiehof heraufgekeucht, und viele Wagenladungen Bauschutt wurden abgefahren. Das Dachgebälk war schon ein Jahr vorher erneuert worden. Jetzt gab es feines Parkett als neuen Fußboden, neue schöne Doppelfenster, neue weiße Türen, neue Öfen, neue Möbel, nette bunte Vorhänge und, was sich kaum sonst noch in der Schule findet, die wunderschönsten schwarzen Schnapprollos zum Verdunkeln. Alles, was sich wohl Mieter in ihren seligsten Träumen von einem freigebigen Hauswirt wünschen, ja noch mehr, das hatte ein gutgelauntes Hochbauamt, wie es schien, mit einem Schlage hier gewährt. So waren denn zwei große, freundliche, auch sonnige Tagesräume entstanden, die ineinander übergehen, der eine nach der Hofseite, der andere zum Rektorgarten hin gelegen. Ein schmales Zimmer ist für den diensttuenden Lehrer bestimmt. In zwei Seitenkämmerchen können Sachen aufbewahrt werden. Der riesige Vorraum aber faßt bequem die Schränke und lädt in seiner freien Mitte so recht zu Tischtennis ein. - - -  
Wir waren die Stufen zum 2. Stock hochgestiegen. Unser Kommen war nicht zu überhören. Hölzern ist nämlich die Treppe, und Jungen sind - ob das das Bauamt nicht gewußt hat? - nun einmal keine Leisetreter. Ich ließ nur jedesmal, drei von den Sexern hinein. Die anderen warteten vor der neuen Wohnung voller Spannung. Es war fast wie Weihnachten. Zu wichtig war ja auch die Frage, wo man seinen neuen Platz finden würde, d.h. aber für einen Sextaner: neben wem und wem gegenüber und - wieweit vom Inspektor entfernt. Und wo wird der eigne Schrank stehen unter den vielen, die eine fürsorgliche Schulverwaltung aus dem alten Studierzimmer neben der Aula gleich von Tischler und Möbelträgern hatte herüberschaffen lassen?  
Nun, da gab es ein fröhliches Suchen. Und manche wichtige Entdeckung! Die schönste davon war, daß neben jeder Tischkarte ein Schüsselchen mit Erdbeeren stand, von freundlicher Seite gestiftet. So hielten unter den Klängen eines Zerrwanstes die Sextaner - auch hierin schon ganz afranisch eingestellt - ihren 'Einzugsfraß'. Der schmeckte ihnen so gut, daß, als nach ein paar Tagen ein Aufsatz nicht mehr zu umgehen war, der eine oder der andere in seinem Berichte wohl die Ansprache, aber keiner die Erdbeeren vergaß. Wir Älteren aber sinnen nach über den Wandel von Zeiten und Worten. Welch ein Kuriosum: 6 soll gleich 1 sein und 5 gleich 2! Ein Ärgernis für alle Mathematiker! Und ein Gespött für die Sprachwissenschaftler! Einst lachten wir, wenn wir hörten: lucus a non lucendo. Und jetzt? Jetzt heißt es Kl. 1, - weil es um Sexta sich handelt! Aber da kann - zur Zeit - kein Kaiser und kein König was dran machen. Die beiden Ausdrücke gehen nebeneinander her. Wohl aber wird im Laufe der Jahre der alte Name des Hauses, 'die Burg', vielen Afranergeschlechtern nur im Sinne der Krankenräume bekannt, sich erweitern, wo so viel junges, gesundes Leben eingezogen ist. Mögen Kranke auf die 'Krankenburg' gehen, auf 'der Burg' haben Kl. 1 und 2 ihre Stuben zum Studieren und zum Spielen. Die 'Burginspektoren' , zwei für Kl. 1 und einer für Kl. 2, betreuen sie. Und 'der Burglehrer' wird jeden Nachmittag sein Zimmerle beziehen - als der kleine Bruder des großen 'Hebdomadars'.  
Studienrat Dr. Klähr
07.12.2023 - 23:22:01

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Aus: Afranischer Bote  
Mitteilungsblatt der Fürstenschule Meißen  
Herausgegeben von Oberstudiendirektor Hans Kastner, Meißen, Freiheit 13  
19. Jahrgang - Ostern 1941 - Nummer 1  
 
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Mahnung  
 
Nun schweige ein jeder von seinem Leid  
Und noch so großer Not!  
Sind wir nicht alle zum Opfer bereit  
Und zu dem Tod?  
 
Eines steht groß in den Himmel gebrannt:  
Alles darf untergehen!  
Deutschland, unser Kinder= und Vaterland,  
Deutschland muß bestehen!  
 
Will Vesper.  
 
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Bericht über das Leben in Schule und Heim  
 
Als ich am 31. Oktober 1940 nach mehr als viermonatigem soldatischem Dienst aus der Normandie nach Meißen zurückkehrte, um, unabkömmlich gestellt, die Leitung der Schule wieder zu übernehmen, waren gerade die letzten Klänge eines schönen Kammermusikabends verklungen, zu dem die Schule Eltern und Freunde aus Meißen in den Festsaal geladen hatte.  
 
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Am nächsten Tage wurde das Sommerhalbjahr 1940 mit der Verteilung der Herbstzensuren beschloßen. Ein zweitägiger Urlaub, den die meisten Schüler dankbar annahmen, schloß sich an. So konnte ich mit der Übernahme der Amtsgeschäfte am 4. November 1940  
zugleich das Winterhalbjahr eröffnen.  
 
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Der Alltag trat nun wieder in sein Recht. Der Winter hatte frühzeitig seine Herrschaft angetreten und verlangte von der Schulleitung dauernde aufmerksame Betreuung der zugewiesenen Kohlenvorräte. Wir können am Schluß des Winterhalbjahres dankbar dafür sein, daß die Kohlenlage der Schule dauernd gesichert gewesen ist und die berüchtigten Kohlenferien vermieden werden konnten.  
 
Jeden Montag versammelte ich die Schülerschaft auf dem Appellplan zur Flaggenhissung und verband jedesmal damit eine kurze Feier. Am Montag, dem 11. November 1940, gedachte ich der Toten der Bewegung und der Novembertage 1923. Die verschiedenen Reden des Führers wurden von jung und alt mit Spannung erwartet und mit großer Anteilnahme gehört, am 10. Dezember 1940 vor den Berliner Rüstungsarbeitern, am 30. Januar 1941 zum achten Jahrestag der Machtübernahme, am 24. Februar 1941 vor den alten Parteigenossen in München, am 16. März 1941 anläßlich der Heldengedenkfeier in Berlin. Starken Antrieb zu Einsatz und Pflichterfüllung im Dienste der Heimat empfing unsere Jugend immer wieder aus seinen Worten. In dem der Jugend gestellten bescheidenen Rahmen setzte sie sich auch willig ein.  
 
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Besondere Freude machte es uns, daß ab und zu Vertreter der Wehrmacht zu uns kamen und unsere Jugend für den Dienst in der Marine oder Luftwaffe zu begeistern verstanden. So sprach am Sonnabend, dem 16. November 1940, Korvettenkapitän Dreykorn über die U=Boot=Waffe, besonders über den Kampf unserer tapferen U=Boot=Waffe im Weltkrieg. Seine schönen Ausführungen, aus persönlichem Erleben geschöpft, fanden den ungeteilten Beifall der Jugend. Nicht minder fesselnd waren die Vorträge, die Offiziere der Luftwaffe hielten.  
 
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Vom Kriege selbst blieben wir trotz mehrfachem Luftalarm bisher glücklicherweise verschont. Daß aber alles getan ist, um unsere Jugend bei Luftangriffen sicher unterzubringen, und daß die Jugend selbst zum Hilfseinsatz ausgebildet bereit steht, braucht nicht besonders betont zu werden. Für ausgiebige und gute Verpflegung der Jungen sorgt nach wie vor getreu die Wirtschaftsleiterin. Auch der Gesundheitzustand unserer Jungen war, abgesehen von verschiedenen Erkältungserscheinungen, dauernd recht zufriedenstellend. Die schulärztliche Betreuung liegt seit dem Tode von Dr. med. Oesterwitz in den Händen des Altafraners Dr. med. Ebner, Meißen, der unter dem 1. Januar 1941 vom sächsischen Ministerium für Volksbildung als Schularzt bestätigt worden ist.  
 
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[---] Tage darauf vereinigten wir uns wiederum im Festsaal der Schule, um 14 Schüler der Klasse 8, die auf Grund ihrer  
freiwilligen Meldung den Gestellungsbefehl zum Reichsarbeitsdienst erhalten hatten, aus unserer Gemeinschaft zu entlassen.  
 
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Inzwischen haben diese Abiturienten ihren Arbeitsdienst trotz mancher Fährnisse gut überstanden und das feldgraue Kleid angezogen.  
 
Am 10. Dezember 1940 erhielt unser Heim Zuwachs durch das Eintreffen von 16 Hamburger Jungen mit ihrem Lehrer Petzold. Ihre Ankunft war bereits seit langem angekündigt und die entsprechende Unterbringung im früheren Quartanerzimmer neben dem Festsaal vorbereitet worden. Vor versammelter Schülerschaft begrüßte ich die neuen Hausbewohner, die sich zu unserer Freude wohlfühlen und sich rasch und gern in unsere Lebensgemeinschaft eingegliedert haben. Für den 12. Dezember 1940 hatten wir die Volksdeutschen aus Bessarabien, die im benachbarten 'Nossener Hof' untergebracht sind, zu Gaste geladen. Im Speisesaal der Schule, der weihnachtlich mit Tanne und Lichtern geschmückt war, sammelten sich die 150 Männer, Frauen und Kinder und verbrachten mit unseren Lehrern und Schülern eine trauliche Nachmittagsstunde, nachdem ich sie herzlich willkommen geheißen hatte. Sodann ging man, von dem bisher unbekannten Stollen recht befriedigt, zum Festsaal, wo Studienrat Dr. Hansen in unterhaltender Form ein Bild von der Arbeit und dem Wesen der Schule gab.  
 
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Am Freitag, dem 20. Dezember 1940, reisten die Heimschüler in die Weihnachtsferien, die ihnen Kälte und Schnee und damit den ersehnten Wintersport zur Genüge brachten. Wir selbst sahen in Anbetracht der besonderen Verhältnisse in diesem Jahre von der Durchführung der Winterfahrten ins Gebirge ab.  
 
Ein großes Jahr deutscher Geschichte schloß am 31. Dezember 1940 ab, ein weiteres stolzes Jahr begann mit dem 1. Januar 1941. Wie alljährlich fand im Anschluß an die Weihnachtsferien die Aufnahmeprüfung für die angemeldeten Neulinge statt. Eine stattliche Schar von Prüflingen traf am Sonntag, dem 5. Januar, mit Eltern und Anverwandten ein und wurde im Heim untergebracht. Die Organisation klappte wieder vorzüglich.  
 
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Am 8. Januar 1941 trafen, nachdem die Prüflinge Schule und Heim, zum Teil schweren Herzens, geräumt hatten, unsere Alumnen wieder ein. Mit feierlichem Flaggenappell begannen wir die schulische Arbeit des neuen Jahres.  
 
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Am 1. und 2. Februar 1941 hatten wir unsere Eltern zu uns geladen. Trotz mancher Reiseunbequemlichkeiten waren viele Eltern der Einladung der Schule von nah und fern gefolgt. Dem Sonnabend=Unterricht wohnten viele Eltern der unteren Klassen bei.  
 
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Am folgenden Tage, dem 2. Februar, fand 10.30 Uhr vormittags die Elternversammlung statt, über deren Verlauf an anderer Stelle des Boten berichtet ist.  
 
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Seit Mitte Februar 1941 sind wieder einmal die Handwerker in der Schule. Unsere Lehrerbücherei, die seit dem Umbau der alten Räume in Schlaf= und Waschsäle für die Klassen 1 und 2 auf den Böden der Schule brachgelegen hat, erhält jetzt neue Räume. Auch der Gesangssaal wird vorgerichtet. Verschiedene Kleiderkammern und andere Räume werden ausgebessert, die gesamte Lichtanlage der Schule wird verstärkt. Wir sind dankbar, daß wir trotz starker Beanspruchung auf dem Arbeitsmarkt doch neben den notwendigen Gelbbewilligungen von seiten des Hoch= und Landbauamtes Dresden über das Arbeitsamt Meißen die Möglichkeit zur Durchführung dieser dringend notwendigen Arbeiten erhalten haben.  
 
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In den Jugendfilmstunden der HJ. hatten unsere Jungen Gelegenheit, viele schöne Filme zu erleben, u. a. den Film 'Der ewige Jude', 'Bismark', 'Wunschkonzert' u. a.  
 
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Das Schuljahr 1940/41 ist durch Reichsverordnung bis zu den kommenden großen Ferien verlängert worden. Die uns damit gegebene Zeit wird im Unterricht reichlich ausgenutzt werden. Es wird trotz vieler Beanspruchung unserer Jugend in Schule und Heim fleißig gearbeitet. Wir sind es nicht nur der Tradition der Schule, sondern auch der Zukunft unseres Landes schuldig, daß aus unserer Schule immer nur junge Männer hervorgehen, die geistig, charakterlich und körperlich stets all den großen Anforderungen gewachsen sind, die die Zukunft unserem siegreichen Deutschland stellen wird. Das Wort des Führers, das er am Heldengedenktag 1941 im Zeughaus Berlin gesprochen hat, ist für uns freudiger, zukunftsverheißender Glaube: 'Keine Macht und keine Unterstützung der Welt werden am Ausgang dieses Kampfes etwas ändern. England wird fallen!'  
Meißen, am 17. März 1941. K a s t n e r.  
 
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Eterntage im Februar  
 
Trotz der durch den Krieg bedingten Erschwerungen hatte es die Schulleitung für angezeigt erachtet, auch in diesem Jahre zu einer Elterntversammlung einzuladen in der richtigen Erwägung, daß gerade in einer Zeit der erhöhten Anspannung aller die engen, feinen Fäden, die zwischen Elternhaus und Schule hin= und hergehen, weiter gesponnen werden müssen. So hatte die Schule die Freude, bereits am Sonnabend, dem 1. Februar, eine stattliche Reihe Mütter und Väter, von diesen nicht wenige im grauen Rock, als Gäste zunächst des öffentlichen Unterrichts begrüßen zu können. Vornehmlich waren es die Eltern unserer Jüngsten, die von der Möglichkeit, ihre Jungens einmal im eigentlichen schulischen Betrieb beobachten zu können, Gebrauch machten. Manch einer hatte die lange und heutigentags nicht immer bequeme Anreise nicht gescheut, um früh 8 Uhr im Klassenzimmer 'Horchposten zu beziehen'. Wie dankbar sind wir Lehrer immer für jede sich daran anknüpfende ersprießliche Aussprache, und wie würden wir uns freuen, übers Jahr noch mehr Gäste bei uns zu sehen! Diese Bitte richtet sich besonders an die Eltern unserer Meißner Stadtschüler, die es doch so bequem haben, zu uns heraufzukommen, aber erfahrungsgemäß den geringsten Anteil der Unterrichtsbesucher zu stellen pflegen.  
 
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Der Sonntagvormittag brachte als Abschluß die Elternversammlung.  
 
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Zu Sprache kam, der neuverordnete Schuljahrsbeginn am 1. September, soweit er sich schon überblicken läßt, der durch die Einberufung zur Wehrmacht bedingte Ausfall wichtiger Lehrkräfte, die Kohlenferien des vergangenen Jahres, der notgedrungene Wegfall der beliebten Wanderfahrten, die Einschränkung des Theaterbesuches in Dresden, die Benutzung des Lehrfilms, der zeitgemäße Ausbau der Schülerbücherei, die Festgestaltung ernster und heiterer Natur, die Vortrags= und Rezitationsabende, unsere immerwährende Leistungsförderung in Schule und Heim, der weitere Ausbau der Betreuung, besonders der Kleineren, im Heim, die großzügige Handhabung der Urlaubsfrage, der Einsatz unserer Jugend im Kriege in verschiedenster Richtung und dessen Anerkennung durch Schuleitung und Behörde, die reibungslos funktionierende Organisation unserer schulischen Luftschutzmaßnahmen und die gastliche Aufnahme der mit ihrem Lehrer von Hamburg landverschickten Jungen, die sich bei uns außerordentlich wohlfühlen. Der Bericht schloß mit der Behandlung von Pflegschaftsfragen und der herzlichen Bitte um weiteres Vertrauen zu unserer Fürstenschule.  
 
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Stärksten Wiberhall fand in der Elternschaft der Vorschlag des Rektors, für die mannigfache Betreuung der Kleinen im Heim zur Entlastung von Frau Oberin eine zweite frauliche Kraft einzubauen. Diese Anregung soll baldigst, über den Gemeinen Kasten zunächst, zur großen Befriedigung der Sextaner= und Quintanereltern in die Tat umgesetzt werden.  
 
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Studienrat M ü l l e r.  
 
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Hamburger Kinder ziehen in der Fürstenschule ein  
 
Von Oberlehrer P e t z o l d t, Hamburg=Elmshorn  
 
Es ist am 10. Dezember 1940 morgens 9 Uhr. Mit einem Autobus sind 15 Hamburger Jungens und ihr Lehrer, vom Bahnhof kommend vor dem großen Einfahrtstor der Fürstenschule angelangt. Eine Schar hilfsbereiter Fürstenschüler kommt ihnen entgegen und bemächtigt sich der schweren Koffer. Nun gehts hinein in das große Haus. Alle Müdigkeit der durchwachten Nacht ist vergessen. In dem herrlichen Festsaal ist die gesamte Schülerschaft zur Begrüßung versammelt. Mit staunenden Blicken mustern die Jungen von der Wasserkante den ehrfurchtgebietenden großen Raum. Oberstudiendirektor Kastner und Studienrat Dr. Hansen begrüßen die kleinen Gäste mit freundlichen Worten, heißen sie herzlich willkommen und wünschen ihnen, die wegen der Luftgefahr ihr Elternhaus und ihre Heimat verlassen müssen, angenehme und frohe Tage in der Fürstenschule in Meißen.  
 
Dann geht's in den Tagesraum. Quartanerstudierstube steht auf dem Schild an der Tür. Das macht weiter keinen Eindruck denn Quartaner sind sie nicht, und um das Studieren machen sie sich keine allzu große Sorge. Aber herrlich ist der große helle Tagesraum. Schränke stehen an den Wänden, und schöne große Tische mit Stühlen stehen in Reih und Glied. Die Wände sind mit Bildern geschmückt, und an der einen Wand ist eine große schwarze Tafel mit Schwamm und Kreide. Soll hier also doch wohl 'studiert' werden? Ja, sogar ein Landkartenständer und ein Zeigestock stehen in der einen Ecke! Nun, wenn es denn sein muß! Aber da unter der Decke hängt ja ein riesengroßer, mit Lametta geschmückter Adventskranz. Das bedeutet doch Weihnachtsfreude, und schon sind sie versöhnt! Aber dort, der große Vorhang, was mag der verbergen? 0, da stehen aber viele Betten, immer zwei übereinander, und viel zu viel! Fast dreißig, und fünfzehn brauchen sie nur. Also raus mit denen, die zuviel sind, hinauf auf den Boden! Dabei wollen sie Herrn Jäntsch gerne helfen. Alle Betten sind sauber hergerichtet. Sogar Matratzen hat die Fürstenschule zur Verfügung gestellt. Wenn vorerst auch noch die Bettwäsche fehlt, so schadet das nichts, die wird sicher schon in den nächsten Tagen von der Hitler=Jugend geliefert. Ja, hier werden sie schon ebenso sanft und ruhig schlafen wie in Mutters Bett. Wundervoll, diese beiden großen und hellen nebeneinanderliegenden Räume. Was werden sie hier nicht alles treiben und erleben!  
 
Wie sehen aber diese kleinen Kerle aus! Der Reisestaub liegt ihnen noch dick auf Gesicht und Händen! Wo können sie sich denn nur waschen? Der Jungafraner Helmut Schade, der vom Bann Meißen als ihr Betreuer eingeteilt ist, weiß es. Also Handtuch und Seife aus dem Koffer heraus, und nun heißt es zum erstenmal: zum Waschen angetreten! Es geht durch einen großen Schlafsaal in einen blitzsauberen Waschsaal. Donnerwetter, was für eine Menge Waschbecken, alle mit fließendem Wasser und einem Handtuchhalter! Die Wände gekachelt! Und dort stehen Becken zum Füßewaschen. - Jeder bekommt nun sein eigenes Waschbecken. Ach, ist das eine herrliche Erfrischung, die von dem kühlen Wasser ausgeht, und aus blanken Augen sehen sie sich nun noch einmal in dem großen Raum um. Obgleich die RSB. auf dem Bahnhof für ein gutes Frühstück gesorgt hatte, meldet sich doch jetzt schon wieder der Hunger. Also, wo gibt es nun etwas zu essen? Helmut Schade weiß auch das. Das gibt es auch in der Schule! Nein, was ist das doch für eine merkwürdige Schule, in der es Betten zum Schlafen gibt und in der eine große Küche ist, die für all die vielen Schüler Kaffee kocht und Mittagessen macht! Da gehen die Schüler denn auch gar nicht zu ihren Eltern nach Hause, wenn der Unterricht aus ist. Nun, wenn d i e das können, können Hamburger Jungen das auch!  
 
Jetzt also mal hin zum Speisesaal! Da geht es Treppen hinab, Gänge entlang, wieder Treppen hinab und Treppen hinauf. Wenn sie sich da nur nicht verlaufen werden in den nächsten Tagen! Nun öffnet sich eine Tür, und staunend sehen sie hinein in den freundlichen, weihnachtlich geschmückten Speisesaal mit den vielen langen, mit weißen Tischtüchern gedeckten Tischen. Gleich die ersten beiden Tische vorn an der Tür sind zum Frühstück hergerichtet. Gerade haben sie sich auf den Schemel gesetzt und wollen sich an den gestrichenen Semmeln und dem heißen Kaffee gütlich tun, da kommt auch schon die Frau Oberin und begrüßt ihre neuen Pfleglinge in einer so freundlichen Art, daß gleich von diesem Augenblick an alle Jungen Vertrauen zu ihr gewinnen. Jeder Junge fühlt, zu der Frau Oberin kann ich in Zukunft mit all meinen kleinen und großen Wünschen gehen. Die wird mich ebenso gut verstehen wie meine Mutter.  
 
Alle haben sich gestärkt, und nun geht es unter Helmut Schades Leitung ans Auspacken der Koffer und Einräumen der Schränke. Jeder bekommt einen Bücher= und Kleiderschrank. Nur die beiden kleinsten, die Gebrüber Seyboldt, müssen gemeinsam einen Bücherschrank beziehen. Und da, wie diese die Sachen, die Mutters Hände so sorgsam und ordentlich in den Koffer gelegt haben, Stück für Stück herausnehmen, rollen ihnen beiden ein paar dicke Tränen über die Backen. Aber einige tröstende Worte helfen schnell darüber hinweg, die Tränen werden abgewischt, und bald ist der große Kummer im munteren Treiben der Kameraden vergessen. Nach und nach sind alle Sachen am richtigen Platz und die leeren Koffer auf dem Boden verschwunden, da beginnt auch schon die erste Unterweisung in der Hausordnung. Da heißt es, so viel neue bisher unbekannte Dinge lernen. Ob das wohl ein kleiner Junge alles behalten und richtig machen kann? - Bim, bim, bim ... schallt da plötzlich eine große Glocke durch das ganze Haus. 'Mittagessen! Aufstellen!' ruft Helmut Schade. Nun geht's wieder hinunter zur Stellung auf dem Hof mit der ganzen Schülerschaft. 'Achtung!' ruft da einer. Alles steht still und sieht den Lehrer vom Dienst an, der die Front abschreitet. Dann folgt der Einmarsch in den Speisesaal. Das macht alles einen gewaltigen Eindruck auf die jungen Gemüter. Es gibt heute Fleischklöße, Kartoffelmus, einen Apfel und ein Stück Schokolade. Das schmeckt vorzüglich. 'Wenn das so weiter geht, dann leben wir hier wie die Fürsten!' meint einer. 'Na ja, wir wohnen jetzt doch auch in der Fürstenschule' entgegnet ein anderer. Nach dem Essen geht's zum erstenmal in die neuen Betten, denn nun macht sich doch die Müdigkeit bemerkbar. Zwei Stunden liegen alle im tiefsten Schlaf, und als zum Nachmittagskaffee geweckt wird, muß mancher erst richtig wachgerüttelt werden. Nach dem Kaffee folgt der erste Rundgang durch die Stadt. Hatten die Jungen am Morgen während ber Autobusfahrt mit verschlafenen Augen und nur für kurze Augenblicke Einzelheiten nur undeutlich wahrnehmen können, so wurde jetzt doch alles viel genauer in Augenschein genommen und teilweise kritisch betrachtet. Einen nachhaltigen Eindruck machte der Anblick des Domes und der Burg von Meißen. 'Ach, das is ja gar kein richtiger Dom', meinte der Kleinste, der am Vormittag noch dicke Tränen in den Augen hatte, 'da is ja gar kein Karussell, und Buden sind da auch nich. N' richdige Dom haben wir bloß in Hamborg!' 'Ja, und wie die Leute hier komisch sprechen', meint sein Bruder, 'die könnten doch man auch deutsch sprechen!' 'Und das soll die Elbe sein! Nee, das is ja gar keine richdige Elbe, das is ja man bloß 'ne Alster!' Wollen wir diese kleinen Kerle nicht darum schelten: Hamburg ist nun einmal i h r Hamburg!  
 
Noch einmal schallt an diesem ersten Tag die große Glocke durchs Haus: Abendessen! Wieder ein gutes und reichliches Mahl. Und dann liegt jeder in seinem Bett. Noch erfüllt von den vielen Eindrücken dieses Tages, läßt wohl jeder seine Gedanken einmal nach Hause schweifen, aber von Traurigkeit oder gar Heimweh ist bei keinem etwas zu merken. Jeder sieht mit großen Erwartungen und Hoffnungen den kommenden Tagen in der Fürstenschule in Meißen entgegen.
08.12.2023 - 14:34:25

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Aus: Afranischer Bote  
Mitteilungsblatt der Fürstenschule Meißen  
Herausgegeben von Oberstudiendirektor Hans Kastner, Meißen, Freiheit 13  
19. Jahrgang - Jahreswende 1941/42 - Nummer 2  
 
Bericht über das Leben in Schule und Heim  
(1. April bis 31. Dezember 1941)  
 
Unser afranischer Bote muß entsprechend den Kriegserfordernissen in gekürzter Form erscheinen. Auch die Berichterstattung über das Leben in Schule und Heim soll sih danach richten und ebenfalls entsprechend kurz sein. Ein Jahr, angefüllt von großen und gewaltigen Ereignissen, liegt hinter uns. Sie haben ihre Wellen auch in unsere Schule hineingeschlagen. Unsere Jugend steht mitten im Erleben des gewaltigen Kriegsgeschehens. Sie ist nicht nur durch den Rundfunk, der fleißig gehört wird, über alle Geschehnisse unterichtet, sondern steht in lebendiger schriftlicher Verbinbung mit vielen Kameraden draußen an den Fronten. Es lebt aber auch in der Schulgemeinschaft die Verpflichtung zum Dienst am Ganzen in dieser großen Zeit. Dies äußert sich durch den Einsatz bei den großen Veranstaltungen, die wir zugunsten des Winterhilfswerkes durchgeführt haben, wie auch bei den Sammlungen von Altpapier, Altmaterial, Knochen, Kastanien, für den BDA. und das Rote Kreuz. Daneben dburfte aber auch die eigentliche Schulische Arbeit nicht zu kurz kommen. Der Unterricht konnte im großen und ganzen geregelt durchgeführt werden. Auch das Heimleben verlief in den gewohntcn Bahnen. Der Gesundheitszustand der Schülerschaft war durchweg gut. Die Wirtschaftsleiterin ist treu besorgt und schafft unermüdlich für das leibliche Wohlbefinden unserer 180 Heimschüler.  
 
Die Berichtszeit beginnt mit dem 1. April Ostern bildete diesmal nihlt den Abschluß, sondern brachte lediglich eine achttägige Unterbrechung der schulischen Arbeit. Vom 9. biS 17. April gab es Ferien.
09.12.2023 - 15:30:52