Fünf Briefe meines Vaters | 6

Am 3.7.55  
 
Lieber Herr Bruder,  
fast weiß ich Deinen Namen nicht mehr, solange haben wir nichts mehr von einander gehört.  
Nur durch die Marlene erfuhr ich, daß Du nun doch die Abiturprüfung bestanden hast und jetzt in Frankfurt studierst. Wollte ich Dir jetzt noch dazu gratulieren so wäre das wohl fast komisch. Außerdem war das ja für Dich ein 'Klacks'. Bei Deiner überdurchschnittlichen Intelligenz braucht man sich über solche Sachen nicht wundern.  
Ganz anders bei mir. Nach Ostern hat sich der Vater beklagt, daß ich so wenig in Deiner Art meinen Weg gehe. Aber darüber will ich mich hier nicht besonders auslaßen.  
Jedenfalls geht es mir über die Maßen gut. Ich habe nun ein eigenes Zimmer ausgebaut. Und auf diese Weise bin ich nun fast ansäßig geworden. Ich konnte das Herumziehen nicht mehr aushalten. Trotzdem ist Düsseldorf natürlich noch nicht meine Endstation. Die weiß ich heute noch ebenso wenig, wie irgend einer von uns. Vielleicht ist es sogar Bautzen.  
Oder überhaupt nicht eine deutsche Stadt.  
Wirst Du mir wohl mal einen Bericht geben, über Dein Leben?  
Dabei fällt mir ein, daß Du ja wohl die Ille in Frankfurt ab und zu mal trifft. Trifft das zu? Und was treibt das Stück?  
 
Fährst Du ab und zu mal zur Marlene?  
Könntest Du nicht mal schreiben, wann Du fährst. Vielleicht können wir zu Marlenes Geburtstag beide hinfahren. Oder haben die beiden nicht so viel Platz?  
Jedenfalls würde ich mich freuen, mal etwas von Dir zu hören.  
 
Herzliche Grüße  
 
Dein Axel
07.11.2023 - 19:06:00