Fünf Briefe meines Vaters | 5

Am 19.9.54  
 
Mein lieber Bruder,  
 
nun komme ich also doch dazu Deinen Brief noch vor Weihnachten zu beantworten. Ich habe eben mein Zimmer aufgeräumt, nachdem ich mein lukullisches Mittagsmahl verdrückt habe. In einer halben Stunde bekomme ich dann Besuch aus Köln. Fein, was? Hast Du nicht! Zumindesten nicht aus Köln!  
 
Dein Brief hat mir wieder viel Mühe gemacht. Hast Du Deine Maschine in Urlaub geschickt? Oder darf man bei Amis das nicht? Maschineschreiben. - das finde ich außerdem grotesk, das Du als (Halb) - Soldat Deine Tage verbringst. Auf wielange hast Du denn Deinen Teufelspakt unterschrieben? Wirst Du auch während des Studiums Kehricht fahren? Du müßtest mir mal ausführlicheres erzählen.  
 
Mit Deinem Beitritt in den erwähnten Frankfurter 'Wohl-tätigkeits-Verein' hast Du zweifelslos den Gipfel erreicht.  
Daß Deine Lage trotz allem nicht trostlos ist, freut mich. Ich wünsche Dir aber, daß Du doch noch den Sprung in die andere Fakultät schaffst.  
 
Meine Pläne haben allmählich greifbare Form genommen. Ich bin dabei Fäden zu knüpfen nach dem Ausland. Zur Wahl stehen Schweden und Frankreich (Marokko). Die Aussichten für Frankreich sind günstiger. In Kürze fange ich an mir noch etwas Französisch anzueignen. Wenn ich nach zwei Jahren wiederkomme, werde ich die Meisterprüfung machen. Dann wird sich wohl auch einiges geändert haben in Deutschland. Daher reichen meine Pläne nicht weiter. Zwar wird mir hier von verschiedenen Seiten empfohlen mich selbständig zu machen. Dafür scheint mir aber noch mehr nötig zu sein als nur Optimismus.  
 
Ein sehr schlechtes Gewissen hab ich wegen Marlenes Geburtstag. Den habe ich glatt vergeßen. Hoffentlich kann ich das wieder geradebiegen.  
 
Reicht das? Laß bitte, demnächst, mal wieder von Dir hören.  
 
Herzlichen Gruß, dein Axel  

07.11.2023 - 18:04:32