Fünf Briefe meines Vaters | 4

Am 1.8.54  
 
Lieber U.  
 
ich habe mich wirklich 'erheblich' gefreut. Denn fast hatte ich Dich als ausgestorben angesehen. War ja möglich, daß Du als armer Student klanglos verhungert bist. Jedenfalls liegen Deine Zustände anscheinend recht unerfreulich. Geht es also nicht so recht voran. Jedoch meine ich fast, daß Du es allein aus Trotz dennoch schaffst. Wenn Du aber Hilfe brauchst, rein finanzieller Art, so schreibe mir bitte sofort. Ich bin in der glücklichen Lage immer helfen zu können. Obzwar ich bestimmte Pläne habe, ich hülfe Dir gerne.  
 
Du warst also in Breithardt? Und kannst also im Augenblick besser sagen, was daraus wird. Ich will ehrlich sagen, daß ich mir ernsthafte Gedanken mache über alle Möglichkeiten einer besseren Lösung. Das Ideal wäre natürlich, wenn ein recht tätiger, nicht unvermögender Mensch Interesse an der Weberei, und nicht zuletzt an Marlene, bekäme. Das ist sicher eine recht kühne Spekulation. Aber was hieltest Du davon?  
Der Wagen ist also noch heil und brauchbar. Nach Deinen Worten im letzten Brief, malte ich mir eine völlige Vernichtung des Vehikels aus. Ist ja doch ein Glück. Nur fürchte ich, das bei der Fahrweise der Ol. der gute DK.W.-le nicht lange mehr mitmacht.  
 
Was von seiten der Omi unternommen ist, in Sachen Suse [damit ist die jüngere Schwester Katja gemeint], Vater, und so ähnlich, ist mir überhaupt nicht bekannt. Trotzdem interessiert mich das heftig. Ich bin aber auch nicht mehr in Hagen gewesen seit dem einen Male vor langer Zeit. Mir schwinden die Wochen unmerklich hin, ohne daß ich alle meine Vorhaben ausführen kann.  
 
Daß die Suse in Breithardt ist, habe ich mir wohl gedacht. Nur bat ich sie, mir über ihre Ferien-absichten zu schreiben. Denn ich bin ja nicht so frei, um sie jederzeit gebrauchen zu können. So werde ich also nach Breithardt schreiben müssen, was ja ohnehin längst fällig ist. Nicht einmal der Marlene habe ich zum Geburtstag geschrieben. Hat sie sich darüber in irgendeiner Art und Weise geäußert?  
 
Meine Verhältnisse hier normalisieren sich stetig. Trotzdem aber bleibt eine leichte Abneigung gegen Düsseldorf bestehen. Ich hatte ja ursprünglich vor mich in Köln anzusiedeln. Vielleicht werde ich auch noch in diesem Herbst diesen Plan ausführen können. Wohl habe ich hier ebensoviele Bekannte wie in Köln, oder sonstwo. Aber die allgemeine Atmosphäre hier ist recht seltsam. Nicht Fisch, nicht Fleisch! Zudem ist die Arbeit in der Werkstatt auf die Dauer Geisttötend. Serienweise Anfertigung 'handwerklicher' Stilmöbel. Grauenvoll. Und schändlich. Denn mit den Werkstoffen, die wir heute haben und verwenden, laßen sich ungleich viel schönere Dinge herstellen, als Möbel im Stile der Lutherzeit. Das ist also mein nächster Wunsch. In eine andere Werkstatt zu kommen. Da will ich mich nun gleichzeitig in Köln und hier bemühen. Wobei dann Köln den Vorrang erhält. Klappt dies, dann zieht es natürlich die Verwirklichung des anderen Planes nach sich.  
 
Neben der beruflichen Arbeit aber, beschäftige ich mich nun auch mit rein künstlerischen Dingen. Mein lange gehegter Wunsch, oder besser Drang, zur Beschäftigung mit Malerei, aktiv nämlich, ist nun zum Durchbruch gekommen. Und es macht sowohl Spaß, als es auch erfolgreich scheint. Zur Zeit habe ich zwei gelungene Entwürfe für Wandteppiche laufen. Einer, ein Gobelin von 2,10 Meter Länge und 55 cm Breite, viel bereits gewebt. Der andere ist eben erst grob skizziert fertig geworden. Das letzte Wort über den letzteren fällt morgen. Der erste hat mir sogar einiges Geld eingebracht. Wofür ich mir einen ordentlichen Malkasten kaufen kann. So habe ich allerhand Freude dadurch. Nächst dem ist meine Leidenschaft jetzt das Lesen und Kaufen von Büchern.  
Nach und nach habe ich eine erkleckliche Zahl von diesen herlichen Dingen beisammen. Was mich daran freut, ist nicht allein das Gefühl des Besitzes, sondern mehr noch das der Sicherheit und wachsenden geistigen Reife. Denn dieses ist mir immer ein Dorn im Fleische gewesen, daß mir in der Schulzeit nichts dergleichen gegeben wurde. Das lag freilich an der ungünstigen Zeit.  
 
Du siehst nun, wie es bei mir steht. Dir wünsche ich baldigen Erfolg in Deinen Plänen. Und gelegentlich solltest Du mal wieder schreiben.  
 
Dein Axel
06.11.2023 - 21:53:46