Fünf Briefe meines Vaters | 12

Am 5.12.55  
 
Lieber U.;  
 
eben heute bekam ich Deine Antwort auf den letzten Brief von mir. Ich finde es rührend in welcher Weise Du Dich über die Züge informiert hast. Hast Du immer noch die Angewohnheit behalten, ständig ein Kursbuch zu besitzen?  
Leider muß ich Dir erklären, daß Deine Bemühungen vergeblich waren. Gerade am Samstag, nachts gegen Mitternacht, habe ich der Marlene einen Brief geschrieben, in dem ich ihr meinen Entschluß mitteilte, zu Weihnachten und Neujahr keine Reise über 50 Km zu unternehmen.  
 
Ich werde am Heiligabend in Köln bei besagter Freundin feiern. Ich habe mich dazu entschloßen, da es hier um einen Menschen geht, um den ich mich seit über zwei Jahren bemühe. Und ich tue es nicht nur, oder fast nicht, um meinetwegen. Ich kämpfe um dieses Wesen seit Langem. Nicht gegen einen 'Anderen'. Sondern gegen dessen eigenes Wesen. Ich kann Dir das nicht in der Kürze entwickeln.  
Es ist nämlich wieder nach Mitternacht. Morgens um 1/² 6 Uhr rasselt der Wecker.  
Zu allem Überdruß hat die Marlene gerade jetzt einen Brief zu schreiben Zeit gefunden. So muß ich auch ihr noch eine Antwort schicken.  
Ich werde also auch über Neujahr voraussichtlich nicht verreisen.  
Auch wegen der keineswegs 'bequemen' Züge.  
Nehmt mir bitte diese Entscheidung nicht übel.  
 
Irgendwann einmal kommt wohl für die meisten Menschen die Zeit, wo sie sich mehr zu einem 'fremden' Wesen hingezogen fühlen, und diesem Zug auch folgen, als zu den verwandten, bekannten, uns vertrauten Menschen. Wenn Du das bereits erlebt hast, wirst Du mich vielleicht verstehen.  
 
Sei herzlich gegrüßt.  
 
Dein Axel  
 
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07.11.2023 - 22:40:42